Franz Greif, Wolfgang Schwackhöfer
Mit dem Übergang von der flächenbezogenen Agrargesellschaft zur standortorientierten Industriegesellschaft rückte der Almbereich immer stärker in das Spannungsfeld der räumlichen Aktivitäten unterschiedlicher Gruppen und Interessen.
So brachte das Waldweideproblem einen Konflikt zwischen Alm- und Forstwirtschaft, an dessen Lösung immer noch gearbeitet wird. Der Interessenskonflikt zwischen Almwirtschaft und Jagd wiederum zeigt gegenwärtig zwei Aspekte: einmal das Interesse der Jagdeigentümer (darunter besonders auch der Almwirtschaftsbeteiligten) an zusätzlichen Einkommen aus der Jagdverpachtung, zum anderen das große Problem der Wildschäden, das stets auch den Wald betrifft.
In den letzten Jahren rückt der Zusammenhang von Almwirtschaft und Fremdenverkehr immer stärker in den Mittelpunkt der Diskussion. Die Almregion bildet aufgrund ihrer landschaftlichen Reize, der verhältnismäßig günstigen klimatischen Verhältnisse sowie der vielfachen Möglichkeiten der Freizeitgestaltung ein oft ideales Erholungs- und Sportareal für die Bewohner aus Städten und aus Ballungsräumen. Die Almwirtschaft hat die Landschaft in einer Weise gestaltet, daß sie sich für viele Formen des Fremdenverkehrs und der Erholung gut eignet. Im Sommer ist die Almregion ein beliebtes Wandergebiet, während im Winter ihre schneesicheren, sanften und offenen Hänge für den Wintersport sehr günstige Voraussetzungen bilden. Besonders große Bedeutung erlangt der Fremdenverkehr in verkehrsmäßig gut erschlossenen Almlandschaften in der Nähe von Fremdenverkehrsorten und in der Reichweite des Naherholungsverkehrs städtischer Zentren.
Die Alperhebung 1974 zeigt aber deutlich, daß die Almwirtschaft in den letzten 25 Jahren erhebliche Einbußen hat hinnehmen müssen. Unübersehbar sind die Extensivierungserscheinungen, der Auftrieb hat sich seit 1952 stark verändert und die Zahl der Arbeitskräfte hat sich außerordentlich vermindert. Eine weitere Entwicklung in dieser Richtung würde nicht nur die bergbäuerliche Landwirtschaft, sondern auch viele andere Lebensbereiche benachteiligen. Vor allem die für die weitere Gestaltung des Fremdenverkehrs unbedingt erforderliche Pflege der Kulturlandschaft erscheint ernsthaft gefährdet, falls diese Aufgabe von der Almwirtschaft nicht mehr wahrgenommen werden könnte.
Unter diesen Aspekten war es das Ziel der Arbeit, ausgehend von der heutigen Situation der Almen Österreichs, die "Funktion" der Almen mit geeigneten Daten zu ermitteln und zu quantifizieren. Gleichzeitig sollte der Versuch unternommen werden, das "ökonomische und organisatorische Spektrum", das in großer Bandbreite auf den Almen gegeben ist, sichtbar zu machen. Zielvorstellungen aus der Praxis von Landwirten, Forstwirten, der Jagd, Ökologie, des Fremdenverkehrs und auch der Regional- und Agrarpolitik waren dabei mitzuberücksichtigen.
Zweckmäßig war es, zunächst einige Hauptbegriffe zu definieren, um eine konsistente Verwendung zu gewährleisten:
Als Funktionen der Almen werden die einzelnen ökonomischen und ökologischen Teilbereiche der Eignungs- und Nutzungsverhältnisse bezeichnet; sie setzen "adäquate" Strukturen (Eignung, Ausstattung) voraus. Als Almtypen werden almwirtschaftliche und almräumliche Strukturen bezeichnet, die als komplexe Gefüge von Eignungsgrundlagen und Nutzungsverhältnissen charakteristisch sind. Eine konkrete Zielvorstellung hinsichtlich des möglichen Umfangs einer bestimmten Funktion eines Almgebietes wird als potentieller Funktionsumfang bezeichnet; diese Zielvorstellung orientiert sich an bestimmten Eignungsgrundlagen. Der Nutzungsgrad der Almen ist eine Maßzahl für den gegebenen aktuellen Funktionsumfang, den eine bestimmte Funktion in einem Almgebiet erreicht. Dieser Funktionsumfang kann für die bestehenden Verhältnisse gemessen und mit den Zielvorstellungen verglichen werden, woraus sich Abstände zwischen aktuellen und potentiellen Nutzungsgraden (Wirkungsgraden) ergeben. Diese "Abstandsmessung", die Funktionsüberschüsse bzw. -defizite für konkrete Almen ergibt, ist das Hauptergebnis der Untersuchung.
Die Durchführung wurde in folgenden Arbeitsschritten vorgenommen:
Die Auswahl der Beispielsalmen fiel auf 46 Almen in sieben Bundesländern; Grundlage hiefür waren Vorschläge der Landesdienststellen. Die Beispielsalmen decken das Spektrum der verschiedenen Almtypen, Höhenlagen, Größen, Besitzverhältnisse und Funktionen weitestgehend ab.
Die Datenerhebung auf den Beispielsalmen ging weit über die Angaben der Alpstatistik hinaus, indem zunächst 116 Einzeldaten (unterschiedlicher Komplexität) erhoben wurden, um daraus rund 120 zusätzliche Variable unter Heranziehung von Annahmen bezüglich Kosten, Preisen, Mengen, Kapazitäten, Auslastungen usw. zu bilden.
Die Datenverarbeitung wurde mittels EDV-Einsatzes bewerkstelligt. Sie erbrachte zunächst eine Analyse der gegenwärtigen Situation der Almen anhand der Beispielsbetriebe hinsichtlich der Standortverhältnisse, Almwirtschaftsverhältnisse, Forstwirtschaft und Jagd, Fremdenverkehr sowie Organisation, Besitzverhältnisse und Personalsituation. Dieser Abschnitt wurde mit Karten und Tabellen ausgestattet.
Im darauffolgenden Schritt der Datenreduktion wurde das Datenmaterial zu einem Katalog an "repräsentativen" Variablen vereinfacht. Diesem Zweck diente das Instrument der Faktorenanalyse, deren erster Teilschritt - die sogenannte Hauptkomponentenanalyse - für etwa 40 vorformulierte wichtige Merkmale der Almen die jeweils diese Merkmale am besten beschreibenden (= repräsentativen) Variablen herausstellte. Als wichtiges Teilergebnis der Datenreduktion konnten Zusammenhänge (Korrelationen, Interdependenzen) zwischen Variablen und Merkmalen dargestellt werden.
Mit diesen "repräsentativen Variablen" wurde eine Typisierung der Almen durchgeführt, die zweierlei Ziele verfolgte:
Die Komplexität der almwirtschaftlichen (und almräumlichen) Verhältnisse aufzuzeigen; Almen sind meist "multifunktional", haben in verschiedenen Teilgebieten unterschiedliche Eignungsvoraussetzungen und dementsprechend auch verschiedene Funktionen.
Einen hierarchischen Katalog von Funktionen zu erstellen, die quantifizierbar sind. Die Faktorenanalyse ergab in einer Variante die Dreiteilung der "Gesamtfunktion" in die drei Hauptfunktionen
Ökologische Wirkung
Land- und forstwirtschaftliche Erzeugung
Fremdenverkehrsnutzung.
Diese Hauptfunktionen wurden in insgesamt neun Teilfunktionen zerlegt; sieben davon wurden der Quantifizierung unterzogen.
Der Unterabschnitt 5.4 beinhaltet neben der Definition der Almfunktionen die Messung des aktuellen Funktionsumfangs der sieben Teilfunktionen: Landschafts- und Schutzwirkung, Milch-, Fleisch- und Holzerzeugung sowie Fremdenverkehrsnutzung im Winter und im Sommer.
Über die Messung des aktuellen Funktionsumfangs hinaus war die Ermittlung des "Abstandes" der Almen von ihrem potentiellen Funktionsumfang Hauptziel der Arbeit. Zu diesem Zweck wurde aus der Faktorenanalyse ein Regressionsmodell abgeleitet, das mit 16 funktionsbeschreibenden und 21 eignungsbeschreibenden Variablen arbeitet und eine "Prognose" der Wirkungs-, Funktions- oder Nutzungsgrade aufgrund der (theoretischen) Eignung von Almgebieten erstellt, wie sie sich aus dem Vergleich der Verhältnisse einer Alm mit den Verhältnissen auf vorgegebenen Vergleichsalmen ergibt. Solche Vergleichsalmen können die 46 Beispielsalmen dieser Untersuchung oder eine Auswahl daraus sein.
Das Ergebnis wird für die sieben genannten Teilfunktionen in Tabellen des aktuellen und potentiellen Funktionsumfangs und kartographischen Darstellungen von Funktionsüberschüssen bzw. -defiziten vorgelegt.
Mit der Erstellung einer vereinfachten Methode zur Ermittlung des aktuellen und potentiellen Funktionsumfangs schließt der methodische Teil der Untersuchung. Nach Ermittlung der für die Modellhypothese erforderlichen repräsentativen Variablen kann jede beliebige Alm unter Verwendung der Parameter der Regression (wie sie mit den Beispielsalmen durchgeführt wurde) für jede einzelne Teilfunktion in die Skala des aktuellen und potentiellen Funktionsumfangs eingereiht werden.
Das Modell kann nach Almtypen und Regionen variiert werden und ist erweiterbar. Derzeit dienen für die meisten Teilfunktionen nur relativ wenige Beispielsalmen als Vergleichsalmen.
Die Untersuchung gibt zuletzt eine abschließende Beurteilung und Empfehlungen zu den wichtigsten Sachverhalten der Wirtschaft in der Almregion.