Forschungsprojekte

BAB 028/19: Integriertes Hochwasserrisikomanagement in Berggebieten

Bewertung sektoraler Interdependenzen, Konflikte und Optionen für Politikkoordination (PoCo FLOOD)

Seit 1980 war Europa von rund 700 Schaden verursachenden Hochwasserereignissen betroffen, die über 3.800 Todesopfer und ökonomische Schäden in Höhe von 187 Milliarden USD verursachten (Munich Re 2017). Aufgrund ihrer topographischen und klimatischen Bedingungen sind alpine Regionen besonders gefährdet. Der Einfluss des Klimawandels auf den Wasserkreislauf (ein Anstieg der Temperaturen und der Schneegrenze wird erwartet) wird zu einem weiteren Anstieg der Häufigkeit und Intensität von Hochwasserereignissen führen (APPC 2014; Gobiet et al. 2014). Besonders die hohe Konzentration hochwertiger Landnutzungen in alpinen Tälern machen diese sehr empfindlich gegenüber einem zunehmenden Hochwasserrisiko und anderen damit in Zusammenhang stehenden Gefahren (Petraschek und Kienholz 2003; Fuchs et al. 2015). Die jüngeren Hochwasserereignisse in Europa führten zu einem Umdenken der Hochwasserschutzpolitik von reinen Hochwasserschutzmaßnahmen hin zu einem integrierten Ansatz eines Hochwasserrisikomanagements, das die Intensität von Hochwässern minimieren, aber auch die Empfindlichkeit von Überflutungsflächen verbessern soll.

Das Projekt PoCo-FLOOD untersucht die Herausforderungen und Hemmnisse sektoraler Politikkoordination, die sich aus dem gegenwärtigen Paradigmenwechsel in der Hochwasserpolitik vom Hochwasserschutz zum integrierten Hochwasserrisikomanagement (IFRM) ergeben. Das Projekt wird gegenseitige Abhängigkeiten, Konflikte und Optionen für die Politikkoordination zwischen den Sektoren Hochwasserschutz, Wasserkraft (Energie), Landwirtschaft und Raumplanung analysieren. Konkrete Ziele: (i) ein besseres Verständnis über die sektoralen Zusammenhänge, die sich aus dem neuen Paradigma des Integrierten Hochwasserrisikomanagements ergeben; (ii) die Schaffung einer Wissens- und Evidenzbasis über die Möglichkeiten und Grenzen von Politikkoordination sowie die Interessenkonflikte, welche einer kohärenteren Hochwasserpolitik entgegenstehen, (iii) gemeinsam mit Akteur:innen und Politikvertreter:innen Optionen für eine sektoral koordinierte Hochwasserpolitik zu entwickeln. Das Projekt adressiert diese Ziele durch einen kombinierten Forschungsansatz, der auf interdisziplinärer Forschung und dem Engagement von Entscheidungsträger:innen und Interessengruppen (Transdisziplinarität) basiert.

Die Arbeiten der Bundesanstalt für Agrarwirtschaft und Bergbauernfragen erfolgten im Rahmen des von der Österreichischen Akademie für Wissenschaften finanzierten und von der Universität für Bodenkultur koordinierten Projektes „Poco-FLOOD Integrated Flood Risk Management in Mountain Areas: Assessing Sectoral Interdependencies, Conflicts and Options for Policy Coordination“. Ziele des Teilbereiches „Interaktionsfeldes Landwirtschaft“ waren die Darstellung und Analyse

  • der räumlichen Dimensionen und die differenzierte Empfindlichkeit und Bedeutung der landwirtschaftlichen Gebiete bezüglich Hochwasserereignissen (mittels GIS Analysen),
  • der rechtlichen Rahmenbedingungen und Instrumente im Bereich Landwirtschaft und Hochwasserrisikomanagement (mittel Literaturrecherche),
  • der Verfahrensabläufe, Rollen und Art der Einbindung von Beteiligten bei der Umsetzung von Hochwasserschutzprojekten (mittels Interviews).

Damit sollen das Bewusstsein und das Verständnis zwischen den Sektoren Landwirtschaft und Hochwassermanagement gestärkt werden und Optionen zur verbesserten Interaktion deutlich gemacht werden.

Detaillierte Analysen landwirtschaftlicher Nutzungen in Hochwasserrisikogebieten ergaben, dass in Österreich rund 246.000 ha (=7,7% der in INVEKOS erfassten Landwirtschaftsflächen) innerhalb der Hochwasserrisikogebiet liegen, davon werden zB. 57.200 ha als intensives Grünland genutzt, 36.000 ha sind mit Futtermais und 25.000 ha mit Winterweichweizen bebaut. Wenn man nur das Alpenkonventionsgebiet betrachtet liegen 104.000 ha der INVEKOS-Flächen in Hochwasserrisikogebieten, die Nutzungsanteile verschieben sich entsprechend der natürlichen Gegebenheiten zu Grünland- und Feldfutternutzungen. Je nach Nutzungsart ergibt sich eine sehr unterschiedliche ökonomische Betroffenheit landwirtschaftlicher Betriebe im Fall von Hochwasserereignissen – leicht ersichtlich, wenn man zB. den Standardoutput-Koeffizienten von Körnermais (EURO 1.640,-/ha/Jahr) dem von zweimähdigen Wiesen (€340,-/ha/Jahr) gegenüberstellt (nach GS-OK Kärnten 2020). Bei Überlagerung der Hochwasserrisikogebiete mit besonders für die regionale Ernährungssicherung bedeutsamen Flächen (aus dem Projekt BEAT) zeigt sich, dass besonders in Berggebieten die Betroffenheit der Landwirtschaft durch Hochwasserereignisse überdurchschnittlich hoch ist, da sich hochwertige Landwirtschaftsflächen hier vorwiegend in Tallagen befinden.

Die rechtlichen Rahmenbedingungen im Bereich Hochwassermanagement zeigen vielfältige verbindliche Vorgaben und Instrumente seitens des Hochwassermanagements auf allen Ebenen (Hochwasserrichtline auf EU-Ebene bis zu wasserrechtlichen Bewilligungen auf lokaler Ebene). In den Vorgaben der Schutzwasserwirtschaft werden landwirtschaftliche Flächen als Retentionsräume gesehen, um höherwertige Nutzungen mit größerem Schadenspotential zu schützen, landwirtschaftliche Flächen selbst sollen nicht vor Hochwässern geschützt werden. Seitens der Landwirtschaft sind das Landwirtschaftsgesetz und die GAP relevant. Im Rahmen der GAP bestehen Fördermaßnahmen für Bewirtschaftungsformen, mit denen das Hochwasserrisiko in einem gewissen Ausmaß gemindert werden kann – diese werden laufend mit dem Nationalen Hochwasserrisikomanagementplan RMP abgestimmt. Flächen für bestimmte Hochwasserschutzprojekte werden auf Ebene privatrechtlicher Verträge gesichert, bei denen Grundeigentümer:innen ihre persönlichen Interessen vertreten. Das gesellschaftliche Interesse am Erhalt landwirtschaftlicher Flächen ist nicht Teil des Prozesses. Das österreichische Landwirtschaftsgesetz greift beim Schutz landwirtschaftlicher Flächen vor Umnutzungen kaum, da es keine spezifischen Instrumente zur Flächensicherung bietet. Indirekt ist dieser durch Instrumente der Raumplanung und Wasserwirtschaft möglich, allerdings sehr unterschiedlich geregelt und wenig genutzt. Der Trend geht zu integriertem Hochwasserrisikomanagement und der Einbindung aller relevanter Akteure und Akteurinnen, um in einem Gewässerabschnitt bzw. Einzugsgebiet eine bestmögliche Lösung zu finden. Das im Zuge eines Hochwasserschutzprojektes verpflichtende neue Instrument der Schutzwasserwirtschaft – das Gewässerentwicklungs- und Risikomanagementkonzept (GE-RM) – bietet Potenzial zur Einbindung landwirtschaftlicher Interessen.

Interviews mit Beteiligten sowie Expertinnen und Experten im Fachbereich Hochwasser-Landwirtschaft verdeutlichen Konfliktpunkte zwischen den Sektoren Landwirtschaft und Hochwasserrisikomanagement. Als besonders problematisch werden dabei unterschiedliche Interessen, mangelnde Kommunikation und Koordination, Flächenverlust für die Landwirtschaft, fehlende Transparenz bei Entschädigungen, fehlender Ausgleich zwischen Ober- und Unterliegern und Aktivitäten von Widerstandsgruppen wahrgenommen.  

Die wichtigsten Erkenntnisse der vorliegenden Arbeit sind daher, dass es aus Sicht landwirtschaftlicher Akteure notwendig ist, die Rolle der Landwirtschaft und das Bewusstsein um die unterschiedliche Bedeutung von Landwirtschaftsflächen für Betriebe und die Ernährungssicherung im Rahmen von bestehenden Instrumenten in Wasserwirtschaft und Raumplanung zu stärken, die Kommunikation und Koordination in Hochwassermanagementprozessen zu verbessern, einen fairen Ausgleich zwischen Ober- und Unterliegern zu ermöglichen und attraktive Konditionen für die landwirtschaftlichen Grundbesitzer zu schaffen, die eine nachhaltige Bewirtschaftung ermöglichen.

Um die erzielten Forschungsergebnisse entsprechend zu verbreiten, wurden im Lauf des Projektes verschiedene Präsentationen und Publikationen mit Zwischenergebnissen verfasst. Die zusammengefassten Endergebnisse werden in einer gemeinsamen Publikation mit den Projektpartnern voraussichtlich Anfang 2023 publiziert, ebenso wie die spezifischen Ergebnisse zum landwirtschaftlichen Teil in einer Schriftenreihe der BAB.

Eine zusammenfassende Publikation zu den Gesamtergebnissen des Projektes in den Geosphere Austria, Abhandlungen Band 277, 2023, ist unter folgendem Link verfügbar:

https://opac.geologie.ac.at/wwwopacx/wwwopac.ashx?command=getcontent&server=images&value=Abh_0077.pdf

 

Bisherige Präsentationen, Publikationen:

Löschner, L., Hernegger, M., Hohensinner, S., Lebiedzinski, K., Niedermayr, J., Nordbeck, R., Seher, W., Wagner, K., Wesemann, J. (2019): Flood risk management in mountain regions: a policy coordination perspective. EGU General Assembly. Vienna.

Wagner, K. (2020): Flood Retention and Impacts on Agriculture in Austria. Paper presentation at 1st IALE-Russia online international conference Landscape Science and Landscape Ecology: Considering Responses to Golbal Challenges. 14-18 September 2020, Moscow.

Grüneis, H., Schroll, K., Wagner, K. (2021): Landwirtschaft und Hochwasserrisikomanagement. Bundesanstalt für Agrarwirtschaft und Bergbauernfragen. Fact Sheet 001. 01.2021. Wien.

Grüneis, H., Schroll, K., Wagner, K. (2021): The Role of Agriculture in Flood Risk Management in Austria - Conflicts and Challenges. In: Journal of Environmental Science and Engineering B. Volume 10, Number 3, May-June 2021 (Serial Number 90). David Publishing Company.

Junger, L., Hohensinner, S., Schroll, K., Seher, W., Wagner, K. (2022): Land Use in Flood-Prone Areas and Its Significance for Flood Risk Management—A Case Study of Alpine Regions in Austria. In: Land 11(3):392 DOI: 10.3390/land11030392.

Schroll, K. (2022): Flood Storage on Agricultural Land in Austria – Integrated Flood Risk Management in Mountain Areas: Policy instruments. Presentation at PESCRL (Permanent European Conference for the Study of the Rural Landscapes) conference – Living together in European Rural Landscapes. 26. September – 2. Oktober 2022, Jaén und Baeza, Spain.

WAGNER, K. (2022): Interrelations of Flood Risk Management and Agriculture in Austrian Alpine Regions. Presentation at Global Mountain Sustainability Forum, EURAC, 3.- 4.10.2022, online.

Nordbeck, R.; Seher, W.; Grüneis, H.; Herrnegger, M. und Junger, L. (2023) Conflicting and complementary policy goals as sectoral integration challenge: an analysis of sectoral interplay in flood risk management. Policy Sciences (2023). https://doi.org/10.1007/s11077-023-09503-8

Grüneis, H., Niedermayr, J., Schroll, K., Wagner, K., Hohensinner, S., Herrnegger, M., Stecher, G., Lebiedzinski, K., Seher, W., Junger, L., Löschner, L. und Nordbeck, R. (2023) Integriertes Hochwasserrisikomanagement in Berggebieten: Sektorale Interdependenzen, Konflikte und Möglichkeiten der Politikkoordination (PoCo-FLOOD). In: Elster, D. (Hrsg.), Helfricht, K. (Hrsg.) & Seher, W. (Hrsg.): Wasser in Gebirgsräumen – Disaster Risk Management: Transdisziplinäre Studien aus Österreich. – Abhandlungen der GeoSphere Austria, 77, 81–129, Wien. https://www.geologie.ac.at/news/news-artikel/neuerscheinung-abhandlungen-band-77

 

Projektbeginn: März 2019
Projektende: Dezember 2022

 

 

 

Projektstatus

abgeschlossen

ProjektleiterIn

WAGNER, Klaus

DI Klaus WAGNER

Berggebietsforschung und Regionalentwicklung

Team

GRUENEIS, Heidelinde

DI.in Dr.in Heidelinde GRUENEIS

Berggebietsforschung und Regionalentwicklung
NIEDERMAYR, Julia

DI.in Julia NIEDERMAYR

Agrar-, Umwelt- und Ernährungssysteme
SCHROLL, Karin

DI.in Karin SCHROLL

Berggebietsforschung und Regionalentwicklung

Initiator

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