Die Bundesanstalt für Bergbauernfragen (seit 1.1.2019 Bundesanstalt für Agrarwirtschaft und Bergbauernfragen) führte im Zeitraum 2016 bis 2018 eine Studie durch, in der es um soziale Prozesse rund um die Integration von Asylwerbenden und –berechtigten wie auch um die Belebung lokaler und regionaler Ökonomie im ländlichen Raum ging. Hinsichtlich Betreuungstätigkeiten wurde die Begleitung von AsylwerberInnen durch das ehrenamtliche Team von „Schattendorf hilft“ sowie die ehrenamtlichen Tätigkeiten im Bezirk Neusiedl am See („Region Neusiedler See hilft“) untersucht.
Betreuungstätigkeiten im Bereich Integration im ländlichen Raum
In diesem Projekt wurden die erforderlichen Rahmenbedingungen und Maßnahmen zur Bewältigung der Betreuungstätigkeiten im Rahmen der so genannten „Flüchtlingskrise“ der Jahre 2015 und 2016 anhand der Gemeinde Schattendorf und einer aktiven Betreuerinnengruppe im Seewinkel analysiert.
Die Gemeinde Schattendorf brachte 2015 zwei Familien, ein Ehepaar und zwei Männer in privaten Häusern unter. Insgesamt zwölf Asylwerbende und zwei Asylberechtigte wurden von einer Gruppe freiwilliger HelferInnen mit unterschiedlicher Intensität betreut. Die Anzahl der ehrenamtlich tätigen Personen, überwiegend Frauen, lag bei zwanzig. Die Gemeinde engagierte darüber hinaus eine hauptamtliche Betreuungsperson.
Durch den Aufbau eines sozialen Netzwerks (via Rundmail und WhatsApp) konnten die AsylwerberInnen im Dorf leicht erreicht werden und ihre Bedürfnisse nach Hilfestellung befriedigt bzw. ihre Teilnahme an sozialen Aktivitäten im Dorf gewährleistet werden. Es hat sich gezeigt, wie wichtig es ist, Möglichkeiten der Begegnung zu schaffen. Die Integration von AsylwerberInnen und Asylberechtigten macht einen dafür bereitgestellten Raum für regelmäßige Begegnungen von AsylwerberInnen /-berechtigten und Einheimischen erforderlich.
Anhand von Interviews mit Expertinnen wie auch durch Literaturstudien wurden kulturelle Unterschiede analysiert, die für die Betreuungstätigkeit wie auch für die breite Öffentlichkeit in der Befassung mit dem Thema Flucht und Integration von Menschen aus anderen Kontinenten von Bedeutung sind.
Im August 2016 nahm ich als Handlungsforschende an einem Supervisionsworkshop teil, dessen Ergebnisse an die Ansprüche an ehrenamtliche Tätigkeiten von freiwilligen Helferinnen in den Forschungsbericht eingearbeitet wurden. Wichtigstes Ergebnis war das Erfordernis einer regelmäßigen Supervision der ehrenamtlichen BetreuerInnen, da die Betreuung von AsylwerberInnen eine Sozialarbeit darstellt, die von Laien durchgeführt wird. Es hat sich im Rahmen dieser Studie gezeigt, dass der Erfolg von Zusammenarbeit und ehrenamtlichen Tätigkeiten maßgeblich von einer regelmäßig stattfindenden fachkundigen Begleitung abhängt. Diese kann wie im beschriebenen Fall der Seewinkler Betreuerinnen von einer entsprechenden Organisation ehrenamtlich zur Verfügung gestellt werden. Ist dies nicht der Fall, wird empfohlen, diese durch öffentliche Gelder zu finanzieren, wie dies teilweise bereits der Fall ist.
Das Angebot einer Supervision ist vor allem auch deshalb erforderlich, weil sich herausstellte, dass wiederholt eine Art Helfersyndrom das Hauptmotiv dafür war, sich freiwillig in der Betreuungstätigkeit geflüchteter Menschen zu engagieren. Das bedeutet, es geht eher um die eigene Bedürftigkeit, gebraucht zu werden, als um die Bereitschaft, Menschen in Notsituationen zu helfen. Dies führte immer wieder zu Konflikten entweder mit den zu betreuenden Personen oder mit anderen BetreuerInnen.
Im Zusammenhang mit dieser Art von ehrenamtlicher Tätigkeit wird es wichtig sein, sich darüber hinaus mit dem Thema Traumatisierung und Posttraumatisches Belastungssyndrom (PTBS) auseinander zu setzen, da die meisten Menschen davon betroffen sind, die aufgrund widriger und bedrohlicher Umstände ihre Heimat, ihr früheres Leben und ihr persönliches menschliches Umfeld verlassen haben. Nicht zuletzt aufgrund der Gefahren, denen sie während ihrer Flucht ausgesetzt waren.
Durch die Erkenntnis, wie wichtig Supervisionen im Rahmen von Betreuungstätigkeiten sind, wurde im März 2017 eine Intervision mit einer Mitarbeiterin der Caritas der Diözese Eisenstadt organisiert und durchgeführt. Intervision ist die Reflexion der Arbeit in einem Team untereinander ohne Leitung eines ausgebildeten Supervisors/einer Supervisorin. Auch diese Ergebnisse wurden in die Analyse eingearbeitet. Darüber hinaus wurden Interviews mit zwei burgenländischen Expertinnen der Betreuungs- und Integrationsarbeit geführt und für den Forschungsbericht verwertet.
Ein geplanter Begegnungsort war der interkulturelle Garten, der im März 2016 in der Waldstraße in Schattendorf angelegt wurde. Die unentgeltliche Unterstützung von AsylwerberInnen bei der Anlage und Pflege von Gemüseanbauflächen und bei der Ernte und Verarbeitung von Obst sollte dem Integrationsprozess dienen. Zwei Asylwerber bewirtschafteten selbsttätig einen Hausgarten, der mit Erlaubnis der Vermieter genutzt werden konnte. Aufgrund mangelnden Interesses seitens der wenigen verbleibenden AsylwerberInnen und -berechtigten wurde der interkulturelle Garten nach zwei Anbausaisonen im Herbst 2017 wieder aufgelassen. Hauptgrund war, dass dieser nicht auf Wunsch der Asylwerbenden sondern von Seiten der BetreuerInnen angeboten wurde.
Betreuung im Seewinkel
Als eine weitere Untersuchungseinheit wurde der Verein „Region Neusiedler See hilft“ in die Studie eingebunden, deren ehrenamtliche Mitarbeiterinnen AsylwerberInnen und -berechtigte im Seewinkel betreuen. Als Handlungsforschende nahm ich an einem Supervisionsworkshop teil, durch den die grundlegenden Anliegen und Probleme der zwölf freiwilligen Betreuerinnen im Seewinkel zu meiner Kenntnis kamen.
Eine Gegenüberstellung zwischen den Familien und Einzelpersonen, die dezentral in Ortschaften angesiedelt wurden, und Asylwerbenden in größeren Einheiten im Seewinkel, in denen zwischen 80 und 100 vor allem junge Männer untergebracht wurden, konnte die These geprüft werden, dass die dezentrale Unterbringung von Familien oder Einzelpersonen der Unterbringung in größeren Einheiten vorzuziehen ist, da die Betreuung leichter bewerkstelligt werden kann und die Asylwerber(innen) weniger einem Gruppendruck ausgesetzt sind. Der Vorteil einer Unterbringung in Einzelhäusern bedingt einerseits eine persönlichere und gezieltere Betreuung, andererseits sind die Asylwerbenden und –berechtigten dadurch in der Lage, einen Haushalt zu führen. Dementsprechend beschäftigt fällt das Warten auf die Antwort eines Asylbescheides oder darauf, eine Arbeitsberechtigung und in weiterer Folge einen Arbeitsplatz zu bekommen, wesentlich leichter. Auch die Sprachkenntnisse werden in Dörfern leichter verbessert als in größeren Unterbringungen, da in letzteren sehr oft die Möglichkeit gegeben ist, sich in der eigenen Muttersprache (Erstsprache) zu unterhalten. Darüber hinaus ist für traumatisierte Menschen ein großes Lager mit der ständigen Anwesenheit vieler, teils ebenfalls traumatisierter Personen ein permanenter Auslöser für das Posttraumatische Belastungssyndrom. Von Vorteil sind größere Quartiere hingegen dann, wenn berücksichtigt wird, dass sich Menschen aus Asien und Afrika gerne in Gruppen aufhalten und bevorzugt unter Menschen sind.
Regionale Ökonomie
Seit Herbst 2015 gibt es in Schattendorf eine Gruppe von zwölf bis fünfzehn Leuten, die sich sowohl im Bereich Integration als auch nachhaltiger Lebensstil durch Konsum regionaler Produkte engagierte. Es wurden kleinere Arbeitsgruppen gebildet, die aus drei bis sechs Personen bestanden. Eine dieser Kleingruppen bildete eine Bestell-Foodcoop. Es ist nach wie vor ein wichtiges Anliegen der so genannten „Gemüsegruppe“, sich gegenseitig beim Ausbau eines nachhaltigen Lebensstils zu unterstützen, sei es durch laufende gemeinsame Bestellungen von Bioprodukten von umliegenden Bauern und Bäuerinnen, sei es durch Tausch und Schenkung von Samen und Pflänzchen wie auch von Obst und Gemüse oder sei es durch die Organisation von Veranstaltungen zum Thema Ökologie. Die Aktivitäten der so genannten „Gemüsegruppe“ in Schattendorf werden über den Projektzeitraum hinaus weitergeführt (Stand 2019).
Das Projekt Erforschung sozialer Prozesse zur Verbesserung der regionalen Ökonomie und der Integration von AsylwerberInnen und -berechtigten im ländlichen Raum war eingebettet in den Dorferneuerungsprozess der Gemeinde Schattendorf, bei dem das Thema Nahversorgung eine zentrale Rolle spielt. Einige Mitglieder der so genannten „Gemüsegruppe“ leiten Arbeitsgruppen im Rahmen des Dorferneuerungsprozesses.
Im Bereich der Forcierung der Direktvermarktung regionaler Produkte war geplant, in einer weiteren Gruppe, die sich vorerst aus sieben Frauen zusammensetzte, einen Bioladen und Veranstaltungsraum in Eisenstadt zu eröffnen und den Prozess der Entstehung dieses Vorhabens im Zeitraum eines halben Jahres 2017 in diesem Bericht zu beschreiben. Letztlich wechselte die Zusammensetzung der Gruppe. In einem neuen Team bestehend aus vier Frauen und einem Mann wurde die Genossenschaft „FreuRraum“ als Restaurant, Veranstaltungsraum und Reparaturcafé mit so genannten „Fachln“, die von Biobäuerinnen / –bauern und von HandwerkerInnen beliefert werden, bis Mitte 2019 erfolgreich umgesetzt.
Conclusio
Unter den Schlussfolgerungen wurden Kriterien für eine gute Zusammenarbeit und die wichtigsten Erkenntnisse für soziale Prozesse herausgearbeitet. Dazu gehört eine bewusste und hinreichende Auseinandersetzung mit dem Gruppenprozess selbst wie auch eine Klärung und Einigung auf gemeinsame Werte und Zielsetzungen. Eine gute, effiziente und erfolgreiche Zusammenarbeit beruht darüber hinaus auf eine offene und gewaltfreie Gesprächskultur, in der nach Marshall Rosenberg den anderen ihre Bedürfnisse zugestanden werden und die Berücksichtigung dieser zu einem friktionsfreieren Ablauf führen können. Es wird auf neurobiologische Forschungen Bezug genommen, wonach der Mensch auf soziale Resonanz und gegenseitige Anerkennung angelegt ist. Eine der wesentlichen Voraussetzungen für eine gute Teamarbeit ist eine ausgewogene Ich-Wir-Balance, gegenseitige Wertschätzung und ein Umgang miteinander auf Augenhöhe.
Eine Quintessenz dieser Studie war, es bedarf einer differenzierteren Sicht- und Gestaltungsweise der verschiedenen Formen von Arbeit, um Anliegen einer Freiwilligentätigkeit im Bereich der Integration und der (Wieder) Belebung lokaler Ökonomien am Land bewerkstelligen zu können. Solange die Erwerbsarbeit einen zentralen und zeitfüllenden Faktor des Alltags darstellt, werden ehrenamtliche und freiwillige Tätigkeiten nur ein Schattendasein führen und durch den Faktor Zeit limitiert werden.
Soziale Prozesse stellen einen wichtigen Forschungsgegenstand dar. Der Erfolg von Initiativen und der Partizipation von BürgerInnen im ländlichen Raum ist abhängig von der Qualität der Beziehungen der AkteurInnen wie auch vom Wissen über fördernde und hemmende Faktoren in Prozessabläufen, wie sie in diesem Forschungsbericht analysiert und dargestellt werden. Ganz besonders von solchen, die sich mit dem Aufbau einer lokalen Ökonomie und der Integration aller am Land lebenden Personen befassen. Da das gesellschaftliche Leben maßgeblich auf sozialen Prozessen beruht, sollte dieser Themenbereich in Zukunft weiterhin beforscht werden.