Werner Pevetz, Rudolf Richter
Haushaltsstrukturen und Lebensstile bestimmter Bevölkerungsgruppen in ihrer beruflichen und siedlungsräumlichen Differenzierung sind im In- und Ausland zunehmend Gegenstand sozialwissenschaftlicher Forschung. Ein Ziel des vorliegenden Projektes war die Teilnahme Österreichs an einer übernationalen mitteleuropäischen Forschungsinitiative, an der sich auch Deutschland, die Tschechoslowakei und Polen beteiligen; ausländische Vergleichsdaten für den Teilbereich der Haushaltsstrukturen lagen den Verfassern allerdings erst für Polen vor.
Die österreichische Erhebung erfolgte in 9 sozialökonomisch differenzierten, annähernd gleich großen Gemeinden in 8 Bundesländern, in denen jeweils eine Stichprobe von maximal 90 Haushalten befragt werden sollte. Diese Gemeinden verkörpern charakteristische Strukturtypen der ländlichen Siedlungen Österreichs; es handelt sich dabei um reine Agrargemeinden in guter Lage, um Grenzlandgemeinden, Agrar-Industriegemeinden, Agrar-Fremdenverkehrsgemeinden und Agrar-Dienstleistungsgemeinden. Allen gemeinsam ist ein überdurchschnittlicher Agraranteil der Bevölkerung (laut Volkszählung 1981), um sicherzustellen, daß bäuerliche Haushalte in der Stichprobe in ausreichender Zahl vertreten sind, um deren Besonderheiten herausheben zu können. Insgesamt konnten 600 Fragebögen ausgewertet werden. Die Befragung erfolgte durch Studenten mittels eines vollstrukturierten Fragebogens, der jedoch auch Raum für qualitative Eintragungen offen ließ. Darüber hinaus waren von den Interviewern Hintergrundsberichte über die von ihnen besuchten Dörfer zu erstellen.
Im einzelnen wurden folgende Hauptziele verfolgt:
- Vertieften Einblick zu gewinnen in die Haushalts- und Familienstrukturen verschiedener ländlicher Siedlungen Österreichs, besonders im Hinblick auf Merkmale und Zusammenhänge, die von den Volkszählungen nicht erfaßt werden;
- Erkenntnisse zu gewinnen über die Erwerbstätigkeit aller Mitglieder ländlicher Familien unter besonderer Berücksichtigung von Erwerbskombinationen (Mehrfachbeschäftigung);
- neben der formellen auch die informelle, insbesondere die hauswirtschaftliche Erwerbstätigkeit von Haushaltsmitgliedern zu erfassen;
- Besonderheiten bäuerlicher Haushalte im Vergleich mit nicht-bäuerlichen ländlichen Haushalten zu erkennen; sowie
- einen Beitrag zur "Lebensstilforschung" im ländlichen Raum zu leisten, da nämlich durch die Ermittlung des Vorkommens bzw. der Häufigkeit charakteristischer Lebensstile die gesamtmenschliche Situation oft besser erfaßt wird als durch die gebräuchlichen quantitativen Merkmale.
Die Erhebung gliederte sich in folgende 5 Abschnitte:
Persönliche und familiäre Angaben (unter besonderer Berücksichtigung des familiären Hintergrundes der Befragten); Bildungsstand und Berufsqualifikation (einschließlich des Bildungsniveaus bzw. der Bildungspläne von Eltern, Ehepartnern und Kindern); berufliche Stellung, Erwerbskombinationen (unter Berücksichtigung von Berufswahlmotiven, Berufszufriedenheit, Arbeitslosigkeit und Bereitschaft zum Berufswechsel); Haushalt; Versorgungsleistungen, Austausch von Gütern und Diensten, letzteres jeweils unter Berücksichtigung des "Gebens" und "Nehmens"; sowie Lebensqualität und Lebensstil, einschließlich Fragen über Belastungen und Belastungsfaktoren, Einkommen und Einkommenszufriedenheit, Freizeitgestaltung, Wohnkultur sowie Ortsverbundenheit.
Im Gegensatz zur Altbauern- und Haupterwerbslandwirteerhebung der Bundesanstalt für Agrarwirtschaft, in denen jeweils eine einzige Berufs- oder Standesgruppe Gegenstand der Erhebung war und sich daher der durch die Gemeinde identifizierte Standortfaktor in der Regel als wichtigstes Differenzierungsmerkmal erwies, tritt in dieser erstmals die Berufsgrenzen überschreitenden Erhebung die Gemeinde als Differenzierungsfaktor weniger klar hervor. Als fast durchgängig wichtigste differenzierende Merkmale erwiesen sich demgegenüber das Geschlecht, die gesellschaftliche Stellung im Beruf (Selbständiger-Unselbständiger), die engere berufliche Zugehörigkeit (Landwirt, sonstiger Selbständiger, ungelernter Arbeiter, Facharbeiter, Angestellter, Beamter), das allgemeine und berufliche Bildungsniveau und das Lebensalter. Mit Nuancen wird von fast allen Befragten der Gesundheit, der Familie und einer inhaltlich befriedigenden Berufstätigkeit als zentralen Lebenswerten ein hoher Rang eingeräumt. In der Bewertung der Berufstätigkeit rangiert die "interessante Arbeit" deutlich vor dem Einkommen. Unter den Kriterien der Ortsverbundenheit steht das (eigene) Haus stark im Vordergrund.
Die Bauern heben sich in unterschiedlich ausgeprägtem Maße - im Osten eher stärker als im Westen -, jedoch bei einem Großteil der Merkmale recht deutlich von der übrigen ländlichen Bevölkerung ab, und zwar sowohl von den übrigen Selbständigen als auch von den Unselbständigen. Sie leben in den größten Haushalten, stammen aus den kinderreichsten Familien und haben selber am meisten Kinder, heiraten am häufigsten Ehepartner derselben sozialen Herkunft, haben das niedrigste allgemeine und fachliche Bildungsniveau, die höchsten Zahlen von Erwerbstätigen (allerdings nicht immer von Lohnempfängern!) im Haushalt, üben ihren Beruf am häufigsten auf Grund familiärer Verpflichtungen aus, betreiben die ausgedehnteste Selbstversorgung, sind am häufigsten mit ihrem Einkommen unzufrieden, glauben am seltensten an Verbesserungsmöglichkeiten ihrer Lebenslage, schätzen in besonderem Maße die selbstbestimmte Tätigkeit, verbringen am häufigsten ihre Freizeit in der Familie, sind am seltensten in Vereinen und am häufigsten in politischen Organisationen tätig usw.
Die Analyse der Lebensstile in 8 der 9 Gemeinden stützte sich hauptsächlich auf den französischen Ansatz von P. BOURDIEU. Folgende Lebensstil-Indikatoren wurden ausgewählt: die Haushaltsausstattung, die Musikpräferenz, der kulturelle Geschmack, Typus und Herkunft der Wohnungseinrichtung sowie deren subjektive Beurteilung, die Besuchshäufigkeit und das familiäre "Klima". vermutete Differenzierungsvariable waren der Gemeindetyp, die regionale Lage, die sozialökonomische Struktur sowie sozial bzw. familienstrukturelle Faktoren wie das Alter der Befragten, das Geschlecht, das allgemeine Bildungsniveau sowie das Alter des jüngsten Kindes.
Es konnte gezeigt werden, daß bei der Mehrzahl der Lebensstil-Indikatoren das allgemeine Bildungsniveau ("kulturelles Kapital") die weitaus wichtigste Variable darstellt, gefolgt vom Alter des jüngsten Kindes (als Indikator für den "Familienzyklus") und der Anzahl der im Haushalt lebenden Personen. Sozialökonomische Faktoren spielen demgegenüber eher eine untergeordnete Rolle. Nach dem Gemeindetyp läßt sich zwar häufig eine gewisse Sonderstellung der Agrargemeinden erkennen, doch sind auch die Agrargemeinden in sich oft stark differenziert.
Der "Regionalfaktor", also die räumliche Lage der betreffenden Gemeinde bzw. ihre Zugehörigkeit zu einem bestimmten Bundesland, hat zwar unterschiedlich großes Gewicht, spielt jedoch immer eine gewisse Rolle: Viele der bestehenden Unterschiede, die klar auf Lebensstil-Faktoren zurückgeführt werden können, lassen sich durch "herkömmliche" Variable wie sozialökonomische Struktur, Familienverhältnisse oder Bildungsniveau nicht ausreichend erklären; sie dürften daher auf jenes unwägbare Element zurückzuführen sein, das man als "regionale Mentalitäten" bezeichnet. Solche gibt es sicherlich, doch würde ihre wissenschaftliche Erfassung vertiefte qualitative Studien auf Gemeinde- und Regionsniveau erfordern.