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AB038: Integrativer Ansatz für nachhaltiges, gutes Leben - ein Konzept

Nachhaltige Entwicklung und Lebensqualität sind für viele 'unbestimmte’ Begriffe, jedoch in den Medien allgegenwärtig und schon lange ein implizites oder explizites Politikziel. Beide sind zentrale 'Leit-Begriffe' des 21. Jahrhunderts und damit eine Herausforderung, die die Bedürfnisbefriedigung aller Menschen betrifft.

Entwicklung bedeutet, die Möglichkeiten zu schaffen, dass die Menschen täglich mehr Bedürfnisse uneingeschränkt befriedigen, sich sozial, kulturell und individuell entfalten können. Zu dem, was zukünftig die Bedürfnisse prägen wird, ist wenig bekannt. Es besteht aber Konsens, dass dies weniger mit (Wirtschafts-)Wachstum zu tun hat, d.h. mit der Steigerung des Bruttoinlandsproduktes (BIP). Wirtschaftswachstum impliziert, dass mehr Bedürfnisse befriedigt werden können - heißt aber nicht, dass Bedürfnisse auch besser befriedigt werden. Wachstum ist eine Frage der Quantität, hingegen ist Entwicklung und in diesem Sinne nachhaltige Entwicklung eine Frage der Qualität, der Qualität des Lebens.

Als ein Zeichen der Entwicklung verändern sich die sozialen Rahmenbedingungen aufgrund weltweiter Anpassungen. Mehr Wettbewerb, offene Märkte, Änderungen der politischen Rahmenbedingungen, Strukturwandel usw. sind die Herausforderung für die Entwicklung der Gesellschaft. In dieser Diskussion um mehr Wettbewerb, offene Märkte und mehr Unternehmertum werden meistens die Konsequenzen für die Lebensgestaltung, d.h. die Lebensqualität und deren Wirkung auf die Umwelt, vergessen.

Ohne zufriedenstellende Einkommen lässt sich in unserer Gesellschaft verständlicherweise kein materieller Lebensstandard aufrechterhalten oder verbessern und somit keine Lebensqualität erleben. Das bedeutet, dass durch Gelderwerb nicht nur der Hunger durch den Kauf von Nahrung befriedigt werden kann, sondern auch praktisch jedes andere angeborene Bedürfnis sowie fast alle über Kultur, Sitte, Soziales und Mode entstandenen Bedürfnisse voll befriedigt oder zumindest entscheidend stimuliert werden können. Aber: Geld ist nicht alles und Geld macht nicht glücklich. Wie Studien (etwa des Harvard-Psychologen Daniel Gilbert) zeigen, verdienen glückliche Menschen langfristig mehr als unglückliche. Es scheint, das Gefühl, zufrieden zu sein, macht produktiver und motiviert zugleich, sich zu engagieren. Viele Menschen haben längst entdeckt, dass es im Leben nicht um Lebensstandard geht, sondern um Lebensqualität. Um eine individuell definierte Lebensqualität. Doch gibt es viele Facetten von Lebensqualität, die universal sind. Gerade der Facettenreichtum und die Vielschichtigkeit von Lebensqualität, gepaart mit der von allen sofort und leicht zu begreifenden Einfachheit der Idee, lässt Lebensqualität zur attraktiven und überzeugenden Alternative zu einem eindimensionalen Streben nach einer Lebensgestaltung mit kurzfristiger Gewinnmaximierung werden. Diese Alternative geht konform mit dem Nachhaltigkeitskonzept, denn 'echte’ Lebensqualität kann nur nachhaltig sein. Ein Leben ohne nachhaltige Perspektive zerstört die ökologischen Grundlagen und sozialen Strukturen des Lebens.

Mit der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie bekennt sich die österreichische Bundesregierung zur Nachhaltigkeit als Leitprinzip ihrer Politik. An das auf dem Weltgipfel für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro 1992 formulierte Prinzip 'Global Denken - Lokal Handeln' wird mit dieser Strategie angeknüpft. Der Handlungsbereich Lebensqualität für Österreich wird betont. In diesem Sinne sind wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, Schutz der natürlichen Grundlagen und soziale Verantwortung so zusammenzuführen, dass Entwicklungen dauerhaft tragfähig sind. Auf internationaler Ebene treten sowohl die EU als auch die G20 ein "to encourage work on measurement methods so as to better take into account the social and environmental dimensions of economic development" (Orenstein, 2009, vgl. Stiglitz, Sen and Fitoussi, 2009). Diese politische Stellungnahme gibt neue Impulse für die Implementierung der Istanbul Declaration on Measuring and Fostering the Progress of Societies.

Auf verschiedenen Ebenen - Politik und Wissenschaft - wird hervorgehoben, dass das primäre Ziel des Fortschrittes oder der Entwicklung der Gesellschaft ein 'besseres’ Leben für diese und zukünftige Generationen sein soll. Da sich das bessere oder 'gute’ Leben nicht unmittelbar darstellen lässt, bedarf es geeigneter Konzepte, Modelle und Methoden, die anhand von Indikatoren Untersuchungen und Aussagen über diese ermöglichen. In der vorliegenden Arbeit werden dabei ein Konzept der Lebensqualität und jenes der Nachhaltigen Entwicklung herangezogen, um einen Ansatz zur Idee "nachhaltiges, gutes Lebens für die (landwirtschaftliche) Bevölkerung" zu erarbeiten.

Das nachhaltige, gute Leben - aus dieser Sichtweise - ist ein multidimensionaler Begriff, der

- den Ressourcenfluss (Naturressourcen, Humanressourcen, Sachressourcen, Sozialressourcen und Finanzressourcen) anhand der Grundsätze der nachhaltigen Entwicklung für die Deckung von Bedürfnissen berücksichtigt;

- sich aus den verschiedenen immateriellen und materiellen Bedürfnissen auf individueller, Gemeinde-, nationaler und globaler Ebene und den zur Verfügung stehenden Ressourcen und Dienstleistungen zur Befriedigung dieser ergibt. Für die Bedürfnisse (vor allem die Grundbedürfnisse), deren Erfüllung unverzichtbar ist, können objektive Lebensbedingungen festgelegt werden;

- sich auf die Erfahrungen der Menschen bezieht und was sie als wichtig für ihr Leben und die Gesellschaft erachten, d.h. die subjektive Bewertung der objektiven Lebensbedingungen;

- ein dynamisches Konzept beschreibt, welches die Gegenwart erfasst, aber Zukünftiges berücksichtigt. Eine besondere Betonung wird auf die Zukunft gelegt, wenn es darum geht die Tragfähigkeit (=Nachhaltigkeit) des gegenwärtigen Lebensstiles zu überdenken.

Ausgehend von den theoretischen Ausführungen in dieser Studie sind folgende Forschungsthemen zu identifizieren:

- Wie die Lebensbedingungen von der landwirtschaftlichen Bevölkerung subjektiv wahrgenommen werden, wie diese mit den faktischen Lebensbedingungen zusammenhängen und wie sich die Lebensbedingungen von der restlichen Bevölkerung unterscheiden, ist nicht erfasst. Im Grünen Bericht werden jährlich die Agrarproduktion und die Agrarmärkte, die Agrarstruktur, die Buchführungsergebnisse und die Förderungen dokumentiert. Informationen zur sozialen Lage beschränken sich nur auf die soziale Sicherheit in Form von sozialen Leistungen der Pensions-, Kranken- und Unfallversicherung. Auf Lebensstile wird nicht eingegangen.

- Welchen Beitrag zum Aufzeigen sozialer Unterschiede kann das Konzept Lebensstil leisten? Lebensstilkonzepte gehen über klassische sozioökonomische Kriterien wie Beruf, Alter und Bildung hinaus und beziehen typische beobachtbare Verhaltensweisen (z.B. Konsumverhalten, Kleidung und Wohnverhältnisse) und nicht beobachtbare psychische Größen (z.B. Werte, Glaubensätze und Einstellungen) in die Analyse mit ein. Es gibt unterschiedlichste Konzepte von Lebensstilen: sie können beispielsweise auf Konsum und Luxus oder auf das einfache oder gesunde und nachhaltige Leben ausgerichtet sein (z.B. LOHAS - Lifestyle of Health and Sustainability; LOVOS - Lifestyle Of Voluntary Simlicity).

- Die gemeinsame Betrachtung der Lebensqualität und Nachhaltiger Entwicklung repräsentiert einen wichtigen Forschungsschwerpunkt: "Was ist die Rolle der ökologischen Dimension als Lebensbasis für die Qualität des Lebens?",

"Wie beeinflussen Natur-, Human-, Sach-, Sozial- und Finanzressourcen, im Zusammenhang mit der gehandhabten Politik und den Makrobedingungen, die Qualität des Lebens (sowohl im zeitlichen als auch räumlichen Kontext)?" oder "Wie beeinflussen der Lebensstil oder verschiedene Lebensstile die Lebensqualität eines Menschen, einer Gruppe von Menschen oder einer Gesellschaft?" Dies ist ein übergreifendes Forschungsthema für zukünftige interdisziplinäre Arbeiten zur Qualität des Lebens, um Zusammenhänge und Handlungsräume zu erkennen.

- Wie kann die Zukunft berücksichtigt werden? Um nachhaltiges, gutes Leben sachgemäß zu erfassen, ist nicht nur die gegenwärtige Situation, sondern sind auch die Erwartungen für die Zukunft zu beachten. Jede seriöse Bewertung des gegenwärtigen Lebens soll auch berücksichtigen, welche Qualität des Lebens sich aufgrund gegenwärtiger Trends zukünftig ergibt oder wie Risiken und Ängste gegenwärtig und für die Zukunft berücksichtigt werden können.

ProjektleiterIn

QUENDLER, Erika

DI.in Dr.in Erika QUENDLER

Ländliche Sozialforschung und Bibliothek
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