AWI

SR065: Bildungsanforderungen für eine zukunftsorientierte bäuerliche Landwirtschaft

Werner Pevetz

Hier werden die wichtigsten Ergebnisse der vorliegenden Arbeit thesenartig zusammengefaßt.

Angesichts der anhaltenden Dynamik der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung, die von bildungsfernen Faktoren vorangetrieben wird, droht das Bildungswesen im allgemeinen seine orientierende, wertvermittelnde, zukunftsweisende Funktion einzubüßen. "Bildung" hat jederzeit einen ganzheitlichen Auftrag; als wertbestimmte, sinnerhellende Menschenführung darf sie sich nicht in der Vermittlung technischer Fertigkeiten erschöpfen. Bewußtseins- bzw. Persönlichkeitsbildung ist der fachlichen "Ausbildung" gleichrangig und sollte voll in diese mit eingehen. Der immanente Bildungsgehalt praktischer Berufskompetenzen ist auszuschöpfen. Jedes humane Bildungssystem hat sich den Grundsätzen der Menschengerechtheit, Bedarfsbezogenheit, Chancengleichheit, der horizontalen und vertikalen Durchlässigkeit, der Vermeidung von Sackgassen und dem lebenslangen Lernen zu verpflichten. Unter den vier möglichen gesellschaftlichen Funktionen eines Bildungssystems: Schutzwall gegen Zeitgefahren, Fahne des Fortschrittes, wertfreie Anpassung an den Wandel und wertbewußte, sinnvermittelnde Lebensbegleitung, steht nur die letztere mit einem demokratisch-pluralistischen Gesellschaftssystem in Einklang. Bildung zielt gleichermaßen auf gesellschaftliche Eingliederung und Bewährung wie auf Persönlichkeitsentfaltung und Selbstwertgefühl. Anpassungsleistungen werden zwar von jedermann eingefordert; Aufgabe einer humanen Bildung ist jedoch nicht ein Training zu reibungsloser Anpassung, sondern die Befähigung zu aktiver Lebensgestaltung. Die auch von der gewerblichen Wirtschaft (Bildungskonzept der VÖI u.a.) geforderte gesellschaftliche Aufwertung handwerklich-praktischer Berufe würde auch dem Beruf "Landwirt" zugute kommen, namentlich auch dort, wo dieser in Kombination mit einem anderen (Haupt-)beruf ausgeübt wird. Die derzeit in der Gesellschaft vorherrschenden beruflichen Leitbilder seien einseitig und verzerrt; konsequentes "Bildungsmarketing" sowie eine wirklichkeitsgerechte Bildungsinformation und -motivation müßten hier korrigierend ansetzen. Der hohe gesellschaftliche Wert und der immanente Bildungsgehalt praktischer Berufe müsse wieder ins gesellschaftliche Bewußtsein eindringen.

Vielen Menschen gelingt zwar die technische Lebensbewältigung, während ihnen die ethische und sinngebende Lebensbewältigung mißlingt. Der Erwerb von Qualifikationen (Handlungskompetenzen), so wesentlich er ist, erscheint daher für sich betrachtet noch nicht als zufriedenstellendes Bildungsziel. Angesichts divergierender Strukturentwicklungen im Agrarbereich, die zu einer wachsenden inneren Differenzierung der Landwirtschaft führen, fällt die Formulierung eines zugleich allgemeingültigen und ideologiefreien "Leitbildes" nicht leicht. Ein derartiges Leitbild muß von einer umfassenden Funktionsbestimmung der Landwirtschaft ausgehen; es darf deren Rolle nicht "produktivistisch" verkürzen, sondern muß die nicht an die materielle Produktion als solche gebundenen gesellschaftlichen Leistungen, die wesentlich Dienstleistungscharakter haben, gleichrangig einbeziehen. Der Bauer/die Bäuerin stehen im komplexen Spannungsfeld von Familie, Betrieb, Gesellschaft und Umwelt; dementsprechend sind technische, unternehmerische, ökologische und soziale Kompetenzen als gleichrangig anzusehen und im Bildungskonzept entsprechend zu berücksichtigen. Mit einem einseitig ökonomisch ausgerichteten "Unternehmer"-Leitbild des Landwirtes scheint sich die Mehrheit der Bauern nicht identifizieren zu können. Unklarheiten im bäuerlichen Selbstverständnis und krisenhafte Verstörungen des Selbstwertgefühles erschweren die Identifikation der Bauernschaft mit einem tragfähigen, zukunftsweisenden Leitbild. Die durch Verinnerlichung negativer gesellschaftlicher Werturteile genährten Zweifel an der beruflichen Zukunft als Landwirt verringern die bäuerliche Bildungsmotivation.

Die emotionellen Begleit- und Folgeerscheinungen der tiefgreifenden Strukturbrüche im landwirtschaftlichen Bereich äußern sich vielfach als innerer Druck, latente Angst-, Versagens- und Hoffnungslosigkeitsgefühle, vor denen die traditionelle Problembewältigung durch Verdrängung versagt und die seelischen Probleme sogar in selbstschädigender weise verschärft. Diese Ängste und Spannungen dürfen nicht verdrängt bzw. in körperliche Krankheitssymptome umgesetzt, sondern müssen durch Bewußtmachung, Problemakzeptanz und mitmenschliche Kommunikation aufgearbeitet werden - zentrale Aufgabe einer zeitgemäßen bäuerlichen Lebenskunde, der sich das Bildungssystem auf allen Stufen zu stellen hat. Heute schon geht die Mehrheit der österreichischen Landwirte einer kombinierten Erwerbstätigkeit nach; dieser Trend wird auch in Zukunft anhalten. Für den Nebenerwerbslandwirt steht subjektiv die außerlandwirtschaftliche Berufsqualifikation im Vordergrund, eine zusätzliche landwirtschaftliche Ausbildung wird oft als überflüssig bzw. als "Zeitvergeudung" betrachtet. Dieser subjektiven Einstellung steht die Tatsache gegenüber, daß die nebenberufliche Landwirtschaft angesichts ihrer wachsenden Bedeutung künftig sämtliche Funktionen der Landwirtschaft schlechthin zu erfüllen haben wird. Die Notwendigkeit einer entsprechenden Qualifizierung kann daher nicht mit dem Einkommensargument abgetan werden. Anderseits würde ein einseitiger Vorrang einer landwirtschaftlichen Ausbildung den Nebenerwerbslandwirt in unannehmbarer Weise beruflich benachteiligen. Die kombinierte Erwerbstätigkeit bedarf daher der kombinierten Ausbildung. Dieses Ziel setzt eine Offenheit des landwirtschaftlichen Bildungssystems für nichtlandwirtschaftliche Ausbildungsgänge, umgekehrt aber auch eine Offenheit des allgemeinen beruflichen Bildungssystems für eine landwirtschaftliche Ausbildung sowie für landwirtschaftlich Ausgebildete voraus: Die bildungsmäßige Isolierung der Landwirtschaft ist ebenso zu durchbrechen wie die gesellschaftliche, deren Teil sie ist. Dieser Zielsetzung dürfte ein klar gegliederter, stufenweiser Bildungsaufbau am ehesten gerecht werden: Er gewährleistet am ehesten die erforderliche fachliche und institutionelle Offenheit sowie die bedarfsgerechte Kombinierbarkeit von Ausbildungsgängen und vermeidet bildungspolitische Sackgassen. In einigen Bundesländern bestehen auf Fachschulebene bereits interessante Ansätze in Richtung auf eine kombinierte Ausbildung; die Akzeptanz im bäuerlichen Berufsstand bleibt abzuwarten. Möglicherweise ist die institutionelle Verschmelzung von verschiedenen Ausbildungsgängen unter der Ägide des landwirtschaftlichen Schulsystems nicht in jedem Falle die beste Lösung: Doch würde erst eine erhöhte Durchlässigkeit von derzeit noch voneinander isolierten Bildungseinrichtungen zukunftsweisende Alternativen im Sinne von mehr Kooperation eröffnen. Entscheidend ist die Anerkennung von in landwirtschaftlichen Bildungseinrichtungen gewonnenen Qualifikationen auch im nichtlandwirtschaftlichen Berufsleben.

Innerhalb der landwirtschaftlichen Ausbildung ist die Überladung mit weitgehend isoliert dargebotenem Fachwissen durch Stärkung fachübergreifender Bildungselemente abzubauen; d.h. die "integrierenden" Bildungsinhalte sind gegenüber den "differenzierenden" Inhalten zu stärken. Das ist weniger eine Frage der Fächer als der Unterrichtsgestaltung. Es gilt, den immanenten Bildungsgehalt auch scheinbar rein "technischer" Gegenstände und zusammenhänge für den Auszubildenden erlebbar zu machen: Jeglicher Fachunterricht sollte in übergreifende Perspektiven eingebunden werden. Die Bedeutung von "Schlüsselqualifikationen" im Sinne grundlegender beruflicher Handlungsbefähigungen wird auch im landwirtschaftlichen Bildungswesen zu Recht hervorgehoben, geht es hiebei doch um eine fächerübergreifende Ausbildungsqualität, deren wert sich auch nicht auf den landwirtschaftlichen Bereich beschränkt. Allerdings werden Schlüsselqualifikationen im nichtlandwirtschaftlichen Bereich verständlicherweise überwiegend berufsbezogen verstanden, eine für den bäuerlichen Bereich vermutlich nicht völlig befriedigende Einschränkung: Ebenso entscheidend wie betriebsbezogene Kompetenzen sind hier nämlich menschliche Qualifikationen im Bereich des familiären Zusammenlebens, deren ausreichende Erfüllung letztlich über den Fortbestand einer "bäuerlichen" = familienbetrieblichen Landwirtschaft entscheidet. Die landwirtschaftliche Berufsschule unterliegt vielfacher Kritik; sie erscheint (nicht nur im Agrarbereich) häufig als "Bildungssackgasse". Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß die Berufsschule ausdrücklich nicht die Absicht verfolgt, eine abgeschlossene berufliche Qualifikation zu vermitteln, sondern wesentlich als theoretische Begleitung und Aufarbeitung einer praktischen Berufslehre konzipiert ist. Ausländische Reformansätze werden dargestellt. Das duale System der Berufsausbildung hat sich allgemein bewährt. Der Stand der praktischen Berufslehre in der Landwirtschaft befriedigt jedoch nicht. Grundsätzlich wäre eine allgemeine Fremdlehre auf einem qualifizierten Lehrbetrieb zu fordern, was jedoch nicht durchsetzbar erscheint. Umso wichtiger ist es, durch vor- und nachbereitende Maßnahmen die Lehre am elterlichen Hof in ihrem Bildungsauftrag aufzuwerten (68). Die häufig beklagte "Ghetto-Situation" der Landwirtschaft bzw. des Bauerntums äußert sich auch in der Rekrutierung der landwirtschaftlichen Auszubildenden. Der bäuerliche Berufsstand ist jedoch zunehmend auf eine "Blutsauffrischung" von außen angewiesen, und es ist auch in nichtbäuerlichen Kreisen ein wachsendes Interesse an der Landwirtschaft festzustellen. Die Offenheit und Attraktivität des landwirtschaftlichen Bildungssystems für agrarfremde "Seiteneinsteiger" zu gewährleisten, stellt sich als wesentliche bildungspolitische Zukunftsaufgabe dar. Die Bildungsmotivation innerhalb des Bauerntums ist aus verschiedenen, vor allem sozialpsychologischen Gründen unzureichend. Auch bei weiterhin schrumpfender Betriebszahl nimmt angesichts des derzeitigen unbefriedigenden Ausbildungsstandes auch der vorgesehenen Hoferben der Bedarf an qualifizierten Betriebsleitern künftig noch zu. Bildungsinformation und -werbung sind daher im Agrarbereich zu verstärken, psychologische Bildungsbarrieren abzubauen.

Die Meisterprüfung als höchste Stufe beruflicher Qualifikation ist auch in der Landwirtschaft unumstritten. Die berufsfachlich gerechtfertigte Forderung, jeder künftige Leiter eines Haupterwerbsbetriebes sollte die Prüfung zum Landwirtschaftsmeister ablegen, stößt indessen auf das praktische Problem des anhaltenden Überganges zur kombinierten Erwerbstätigkeit mit (vermutlich) überwiegend außerlandwirtschaftlichem Einkommen, dessen Höhe entscheidend von der außerlandwirtschaftlichen Berufsqualifikation bestimmt wird. Wenigstens solange die wechselseitige Offenheit und Kombinierbarkeit agrarischer und nichtagrarischer Ausbildungsgänge nicht gewährleistet ist, könnte sich angesichts des raschen Wandels der Erwerbsarten der "Landwirtschaftsmeister" manchmal als bildungsmäßige Fehlinvestition erweisen. Der wünschenswerte Ausweg aus diesem echten bildungspolitischen Dilemma bestünde in einer Verstärkung der berufsqualifikatorischen Polyvalenz des "Landwirtschaftsmeisters", was selbstverständlich auch eine entsprechende Anerkennung seitens der gewerblichen Wirtschaft voraussetzt. Auch an eine Kombination der Landwirtschaftsmeisterprüfung mit der Meisterprüfung in einem gewerblichen Fachbereich unter wechselweiser Anerkennung vergleichbarer Qualifikationen wäre zu denken. Die ökologische Bildung gewinnt auch in der Landwirtschaft zunehmende Bedeutung. Ihre Einbindung in das bestehende Ausbildungssystem sollte jedoch womöglich nicht in der Form erfolgen, daß ein eigenes, abgetrenntes Fach "Umweltschutz" einem insgesamt technisch ausgerichteten Unterrichtsplan angehängt wird; dies könnte nämlich nur dazu führen, daß sich die Übrige Fachlehrerschaft von der Behandlung des Umweltschutzthemas dispensiert fühlt. Vielmehr sollten Ökologie und Umweltschutz als wesentliche, integrierende Gesichtspunkte obligatorisch in jedes Fachgebiet eingebunden werden. Die alternative (ökologische, biologische) Landwirtschaft kann zwar nicht als generelle Lösung der gegenwärtigen Agrarprobleme angesehen werden, stellt jedoch eine wichtige Teiloption dar. Ihre zweckdienlichste Förderung besteht vermutlich nicht in finanziellen Hilfen, sondern in einer gezielten Bildung und Beratung. Die Einrichtung einer überregionalen Fachschule für alternative Landwirtschaft mit angegliedertem Versuchsbetrieb ist daher zu empfehlen. Ein zukunftsweisendes Leitbild der landwirtschaftlichen Fachschule (aber auch der Höheren landwirtschaftlichen Lehranstalt) könnte deren Weiterentwicklung zu regionalen Animations- und Innovationszentren im ländlichen- Raum sein, wofür bereits Beispiele vorliegen (z.B. Edelhof. Silberberg). Typische Aufgaben derartiger über den schulischen Bereich hinauswirkender Zentren sind die Unterstützung bestehender bäuerlicher Initiativen, Auffinden neuartiger Chancen, Innovationsförderung, Aufbau regionaler Kooperationen zwischen der Landwirtschaft und anderen Wirtschaftszweigen, Entwicklung und Unterstützung regionaler Umweltprojekte usw.

Die institutionelle Trennung von Burschen- und Mädchenausbildung muß vom Prinzip her in Frage gestellt werden. Der moderne bäuerliche Familienbetrieb kann nur auf partnerschaftlicher Grundlage bestehen; er integriert außerdem Haushalt und Betrieb als gleichrangige Teile eines übergeordneten Ganzen, für das Mann und Frau gleichermaßen Verantwortung tragen. Die Fachschule=Betriebsleiterschule sollte demgemäß als Partnerschule konzipiert werden, in der Burschen und Mädchen gemeinsam grundsätzlich dieselben Bildungsinhalte vermittelt werden. Dabei geht es nicht etwa um eine Abwertung des hauswirtschaftlichen Berufes, sondern im Gegenteil, um dessen Aufwertung durch Einbezug der künftigen Betriebsleiter. Gleichzeitig würde damit auch die Frauenrolle in der Landwirtschaft aufgewertet, was standespolitisch von größter Bedeutung ist. Die traditionelle Arbeitsteilung: "Sachbildung" für die Männer, "Gemütsbildung" (nur) für die Frauen, lebt in der Struktur der Erwachsenenbildung immer noch fort. Sie spiegelt indessen ein überholtes Rollenbild wider, eine "Arbeitsteilung" der Geschlechter, die angesichts der krisenhaften Situationen im ländlich-bäuerlichen Bereich die Frau ständig überfordert, während sie den Mann daran hindert, ein verständnisvoller, kommunikativer Partner auch in der zentralen familiär-persönlichen Sphäre zu werden. Soweit dieser Zustand durch Bildungsangebot und -nachfrage zementiert wird, widerspricht dies einem dringenden Erfordernis einer auf vollmenschliche Partnerschaft gegründeten familienbetrieblichen Landwirtschaft. Bereichsspezifische Spezialisierung sowie der Trend zur kombinierten Ausbildung verstärken die innere Differenzierung des landwirtschaftlichen Schulwesens und verändern damit auch dessen Standortsorientierung. Eine fachspezifische, überregionale Konzentration von Schulstandorten dürfte sich durchsetzen bzw. wäre zur Vermeidung von Fehlinvestitionen rechtzeitig zu planen; bei Bedarf sollten auch länderübergreifende Lösungen nicht ausgeschlossen werden. Die zunehmende Einkommenskombination von Landwirten sollte und muß nicht zwangsläufig zu einem unselbständigen Hauptberuf und einem Pendlerdasein führen. wünschenswert erschiene vielmehr die Entwicklung bzw. Stärkung von Zuerwerbsmöglichkeiten für Landwirte als Selbständige im ländlichen Raum. Die vielfältigen sich hier eröffnenden Aufgaben (z.B. im Bereich der Landespflege und des Umweltschutzes, der kommunalen Dienste, des Fremdenverkehrs, der Wohlfahrtspflege ...) wären zu definieren und entsprechende Aus- und Weiterbildungseinrichtungen zu schaffen. Der ideale zu- und Nebenerwerb verdrängt die Landwirtschaft nicht, sondern ergänzt sie.

Die Erwachsenen-Fortbildung im Sinne des "lebenslangen Lernens" bedarf der Intensivierung und teilweise auch neuer Lösungsansätze. Auf Grund von Praxiserfahrungen besonders vielversprechend erscheinen handlungsbezogene, an konkrete Projekte gebundene, "animative" Fortbildungsansätze, als deren Träger Interessentenvereinigungen auftreten. Das landwirtschaftliche Beratungswesen leidet unter Problemen der inneren Organisation, der Aufgabenüberlastung und Zielgruppenerfassung. In der Offizialberatung geht durch das Überhandnehmen beratungsfremder Aufgaben der Anteil der "reinen" Beratungszeit tendenziell zurück; gleichzeitig ergeben sich für den Berater Rollenkonflikte und Legitimierungsprobleme. Trends in agrarisch hochentwickelten Ländern weisen auf eine zunehmende Konkurrenzierung bzw. teilweise Verdrängung der Offizialberatung durch privatwirtschaftlich finanzierte Beratungsdienste hin, deren Kompetenz und Engagement allerdings auf die Bedürfnisse der leistungsfähigen, kommerzialisierten Betriebe zugeschnitten ist. Ein derartiges Nebeneinander verschieden strukturierter und finanzierter Beratungsdienste entspricht der zunehmenden inneren Differenzierung des Agrarsektors und erscheint insofern unvermeidlich. Im Sinne einer *vernünftigen Arbeitsteilung erscheint ein derartiger Pluralismus sogar begrüßenswert. Privat organisierte Dienste erübrigen jedoch die öffentlich finanzierte Offizialberatung keineswegs, da sie sich der Mehrheit der wirtschaftlich schwachen Bauern nicht annehmen und dadurch indirekt die inneragrarische Disparität verstärken. Die Offizialberatung muß ihre unverzichtbare Aufgabe jedoch weit entschlossener, gezielter und effizienter als bisher angehen: Sie muß die von Marginalisierung bedrohten bäuerlichen Gruppen wirklich erreichen, hiezu die an sich verfügbaren Beratungsmethoden konsequent anwenden und sich insbesondere so organisieren, daß der einzelne Berater von beratungsfremden Aufgaben und belastenden Rollenkonflikten befreit und sich - von zentralen Einrichtungen unterstützt -voll seiner eigentlichen Aufgabe zu widmen vermag. Soweit andere Beratungsdienste bestehen, sollte mit diesen - wie erwähnt - eine sinnvolle, arbeitsteilige Kooperation gesucht werden.

Höchstes Ziel von Bildung ist letzten Endes die Entfaltung und Festigung eines belastbaren Selbstwertgefühles. Selbstwertgefühl verleiht "Identität", und Identität hat wiederum zu tun mit Standesbewußtsein. Standespolitische Ziele sind in bezug auf jeden Berufsstand, also auch für das Bauerntum, weiterhin zeitgemäß und legitim - allerdings nur dann, wenn sie nicht in einem ausgrenzend-abkapselnden, damit letzten Endes reaktionären Sinne mißverstanden und mißbraucht werden, sondern als Bewußtmachung der Qualität und Notwendigkeit der eigenen beruflichen Leistung, auf die man mit Fug und Recht stolz sein darf und für die auch eine angemessene gesellschaftliche Wertschätzung einzufordern ist: "Du sollst dein Licht nicht unter den Scheffel stellen!" Wenn von Identität und Standesbewußtsein die Rede ist, gilt es allerdings sorgfältig zu formulieren: Nicht um "bäuerliche" Identität kann es künftig gehen, sondern um eine Identität, einen Berufsstolz als Bauer = Bodenbewirtschafter, Pfleger und Erhalter des kultivierten Landes möglichst in Einklang mit ökologischen Erfordernissen. Darin liegt ein feiner, aber wesentlicher Unterschied: "Bäuerliche" Identität, d.h. ein sich exklusiv auf das Bauersein beziehendes Selbstwertgefühl, kann sich im strengen Sinne nur auf den Vollerwerbslandwirt beziehen, greift demnach in der heutigen Zeit zu kurz. Identität als Bauer, aus der bäuerlichen Rolle ggf. neben anderen beruflichen Rollen, sollte dagegen auch dem Landwirt mit kombinierter Erwerbstätigkeit zugänglich sein. E. Gehmacher hat zu Recht auf die wachsende Bedeutung einer doppelten, ja mehrfachen Identität in der heutigen komplexen Gesellschaft hingewiesen: wir müssen Mehrfachidentitäten einüben, um verschiedene gesellschaftliche Rollen ohne Identitätskrise spielen zu können. Der moderne Landbewirtschafter als Einkommenskombinierer sieht sich zunehmend mit dieser Aufgabe konfrontiert, die ebenso sehr eine psychologische und ethische wie eine solche der Lebensorganisation und des Zeitbudgets ist: Angesichts dieser nicht leichten Aufgabe kann er in Anomie abgleiten, aber auch an Sinnfülle gewinnen. Ihm dabei rechtzeitig zu helfen, ist vornehmster Bildungsauftrag. Die durchdachteste Bildungskonzeption ist letztlich sinnlos, wenn ihre Adressaten - in unserem Falle die bäuerlichen Familien - nicht nur ein unzureichendes Bildungsbewußtsein haben, sondern ihnen überdies der Glaube an Bedeutung und Zukunftsträchtigkeit des eigenen Berufes fehlt. An der Basis eines jeden praktisch wirksamen Bildungskonzeptes muß daher die Stärkung des Selbstwertgefühles der zu Bildenden bzw. ihrer Familien stehen, verbunden mit der Überzeugung von der bleibenden, ja zunehmenden gesamtgesellschaftlichen Bedeutung ihres Berufes. Nur aus dem Hinweis einer solchen Bewußtseinslage und Selbsteinschätzung, die durchaus als "Standesgefühl" bezeichnet werden darf (in diesem Sinn erscheint der Standesbegriff keineswegs "überholt"!) erwächst ein Qualifikationsbedürfnis und damit ein Bildungsbedürfnis als Voraussetzung von allem, was dann darauf aufbaut. wenn man das Entscheidende, nämlich Selbstwertgefühl als Bauer/Landbewirtschafter und die daraus fließende Motivation, einfach voraussetzt, darf man sich über enttäuschende Ergebnisse nicht wundern. Die Voraussetzungen für einen erfolgreichen Bildungsprozeß zu schaffen, liegt freilich weitgehend außerhalb der macht des formellen Bildungsplanes.

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